Freitag, 12. September 2008

Vorschau

Dies wird der Blog zu meiner Ecuador-Reise vom 18. August bis 12.September 2008. Anschnallen, Inkamütze Heidi aufsetzen und Meerschweinchen bereithalten.

Donnerstag, 11. September 2008

Abreise nach München

Es ist 14h, um 16h fährt mein Zug nach München (Zugbindung!). Ein Kollege und Koautor hat mir gerade seine finalen Anmerkungen für einen Artikel geschickt, den ich eben noch bei einer wissenschaftlichen Zeitschrift einreichen muss. Mir bleiben dreißig Minuten, um seine Fundamentalkritik einzubauen.

Zuhause um 15:10 merke ich, dass mein Packsystem "kleiner Rucksack in großen Rucksack" nicht funktioniert, weil beide Elemente hoffnungslos überfüllt sind. Ich stemme den Großen auf den Rücken, er geht mir (1.87) über den Kopf, den Kleinen klemme ich unter den Arm. In der Straßenbahn löst sich die Schnalle des Expeditionsrucksacks (€25). Die Außenkrallen des runden Teils sollten im hohlen Gegenstück verankert bleiben, ich biege sie auseinander. Beim nächsten Versuch bricht eine ab. Ohne sie hält die Schnalle. Beim Umsteigen nehme ich im gewohnten Dresdner Umleitungschaos zielsicher die falsche Tram. Um meinen Zug noch zu bekommen, muss ich mit dem Hinkelstein auf dem Rücken eine Komplettdurchquerung der Prager Straße (Fußgängerzone) machen. Neben dem Einkaufspublikum komme ich mir vor wie ein Pionier. Es regnet wie aus Stauseen. Gleichzeitig schwitze ich wie blöde. Auf Wiedersehen, Dresden!


Der Regionalzug ruckelt durch nasse Kulturlandschaften. Das Fahrgefühl hat etwas von Rudern im Pazifik. Fühle mich ein wenig seekrank. Der Zug hält an komischen Orten wie Niederwiesa, Hersbruck (rechts Pegnitz) oder Chemnitz.

Ich schlafe gediegen bei Mama und Papa im modernen Flachwohnblock in München-Englschalking.



Zugimpression.


Mittwoch, 10. September 2008

In München als Tourist

Von Muttern ausgiebig gemästet (überbackener Toast, Lasagne, Tiramisu, ...) mache ich eines der Reiseexperimente, die im "Lonely Planet's Guide To Experimental Travel" beschrieben werden: als Rucksacktourist seine Heimatstadt erkunden. Das Glockenspiel am Münchner Rathaus soll inzwischen gestimmt sein und sich dem staunenden Besucher nun stündlich statt nur um elf Uhr vormittags darbieten. Stattdessen laufe ich an den schicken Cafés der Leopoldstraße und den feinen Boutiquen der Hohenzollernstraße vorbei. Allerdings verzichte ich auf weitere Bestandteile des Experiments, wie Einheimische ansprechen und über Sehenswürdigkeiten und Ausgehmöglichkeiten zu befragen.

Im Kaisergarten sitze ich mit Katrin, einer Freundin aus einem gemeinsamen Jahr in der Wissenschaft. Sie mag meine Skepsis über das allgemeine Trachten und Streben im Berufsleben nicht recht teilen. Ich schätze ihre unbestechliche Art, sie besteht darauf, meine heiße Schokolade (€4.20) mitzubezahlen. Bei dem Preis weiß ich, dass ich in München bin. Dafür ist die Tasse so groß wie die Gläser, aus denen man eine halbe Bier trinkt.


Danach geht's nach Fürstenried im Süden der Stadt, wo morgen mein alter Freund Tom sein 40jähriges Jubiläum feiert. Im Erdgeschoss des Hauses seiner Mutter, wo jahrzehntelang weiße Gardinen, Alpenstilleben etc. an das frühe Wirtschaftswunder erinnerten, glänzt auf einmal Klickparkett. Und ein bereits mit Wickeltisch etc. ausgestattetes Zimmer wartet auf den Nachwuchs, den er und seine vor einem Jahr aus Amerika mitgebrachte Frau Annie Ende September erwarten.

Der Tag klingt mit dem Probieren von Muffins u.
ä. für die große Feier, Videospielen, Mondfinsternis und Kräutertee aus.

















Poesie aus München-Fürstenried.


Dienstag, 9. September 2008

Geburtstag

Ich wohne in Toms ehemaligem Appartment unter dem Dach, praktisch einer kompletten Ferienwohnung. Der Tag beginnt gegen elf, wir schneiden für dreißig erwartete Gäste Kartoffeln, Möhren, Auberginen und Kichererbsen.

Das Fest geht am frühen Abend los. Einige der Gäste sind Sprachschulkollegen von Annie, darunter die Ecuadorianerin Denice, die mir ein paar finale Reisetipps gibt. Noch besser treffen es allerdings Christian, den ich schon seit der Kollegstufe kenne, und seine Freundin Barbara: Ram ist ein Südinder, der exakt aus der Ecke kommt, in die die beiden Anfang Oktober fliegen wollen. Außerdem lerne ich Alex kennen, den Mechaniker, den ich vor ein paar Jahren unbekannterweise über Tom meinen Vater vermittelt hatte, um dessen Moped zu reparieren.

Zu diversen Salaten, Vorspeisen, Kuchen gibt es Gegrilltes. F
ür die Vegegarier bietet der Grill Marshmellows aus Schweinegelatine. Annie hat ein Menu aus 21 Cocktails im Angebot, von denen ich allerdings nur drei bewältige. Um Mitternacht ist Geburtstag. Es gibt angemessene fiese Geschenke zum 40. Von Christian, Barbara und mir einen Korb mit Gaben, die Tom an Dinge erinnern sollen, zu denen er nun nicht mehr kommen wird, darunter einen Kuchen in Schneebergform (Skifahren) und die selbst zusammengestellte CD "Bavaria Goes America -- And Back".

Anlage: Umlaute, wenn man nur eine englische Tastatur zur Verfügung hat.

ü ö ä Ü Ö Ä ß

Sonntag, 7. September 2008

Amsterdam und Flug nach Ecuador

Christian und Tom bringen mich netterweise zum Flughafen. Nach der Gepäckaufgabe besprechen wir noch ein paar Sinnfragen des Lebens.

Ich habe sieben Stunden Aufenthalt in Amsterdam, ehe es mit der Fluggesellschaft KLM nach Quito weitergeht. Kaum zu glauben: das erste mal in Holland. Mein Mobiltelefon, gleichzeitig meine einzige Kamera, lasse ich sicherheitshalber im Flugzeug. Anschließend laufe ich von Pontius zu Pilatus, um es wieder zu bekommen. Doch weder Stewardessen noch Putzpersonal scheinen es gefunden zu haben. Wiederholt lasse ich es bei meiner Nummer dreimal klingeln und, siehe da, irgendwann geht jemand ran. Allerdings vernehme ich nur Lärm, der stark an Flugzeugtriebwerke erinnert. Beim nächsten Versuch ist es ausgeschaltet.

Ich fahre erstmal mit dem Zug in die Innenstadt. Bei gießendem Regen verzichte ich auf eine Krachtenfahrt. Auch die Borsteinschwalben hinter den Schaufenstern entgehen mir witterungsbedingt. In Coffeeshops trinken junge Menschen Kräutertee. Stattdessen setze ich mich in eine Tapas-Bar und esse Lammeintopf mit Knoblauchbrot. Ein Hauch von Urlaubsstimmung kommt auf.


Zu meinem Funktelefon gibt es keine neuen Erkenntnisse. Offenbar wollte es woanders hinreisen. Somit werde ich wohl 3 1/2 Wochen telefonisch unerreichbar sein, auch mal nicht schlecht. Siebzehn Stunden Flug beginnen. Der erste Zwischenstop ist nach Zehnen der "Flamingo Airport" auf Bonaire (Niederländische Antillen). Es herrscht Aussteigepflicht. Danach kein Passagier weniger an Bord. Das neue Begleitpersonal serviert das gleiche Frühstück, das es schon vor zwei Stunden gab, und man zeigt dasselbe Sicherheitsvideo wie nach dem Start. Beim zweiten Zwischenstopp in der 3-Millionenstadt Guayaquil steigen tatsächlich einige aus, aber genausoviele wieder ein, denn die McDonnell-Douglas 11 fliegt, provisorisch geputzt, gleich wieder Richtung Amsterdam zurück.
Zum dritten mal sehe ich das Sicherheitsvideo. Beim Anflug auf Quito ragt der Vulkan Cotopaxi wie eine weiße Pyramide aus dem Wolkenmeer. Das Weiße auf seinem Gipfel scheint allerdings Rauch zu sein, denn der Cotopaxi ist aktiv.

Durch generisch gewachsene Straßen und Ansiedlungen fährt mich ein Taxifahrer zum Hostel Auberge Inn. Die Herberge sieht in Wirklichkeit viel realistischerer aus als im Internet. Auf jeden Fall bin ich angekommen.

Samstag, 6. September 2008

Quito

Quito liegt 2850 Meter über dem Meeresspiegel und ist umgeben von grünen Viertausendern. Aber gute Bergluft fühlt sich anders in den Lungen an. Das Auberge Inn befindet sich genau zwischen Alt- und Neustadt. Eigentlich hatte ich vor, sofort über das Forum Couchsurfing bei Privatleuten unterzukommen. Aber meine designierten Gastgeber hatten kurzfristig absagen müssen, und danach bekam ich nur ein Angebot, bei dem ich auf den Boden hätte schlafen müssen und erst abends einchecken können.

Um eine Stadt kennenzulernen, stellt man sich am besten eine kleine Aufgabe. In meinem Fall der Umtausch eines 50-Euro-Scheins.
Schwerbewaffnete Sicherheitsmänner in Banken kenne ich aus Südafrika. Mit meinem 100 Wörter-Spanisch betreibe ich mit ihnen so etwas wie Konversation. Sie sind überaus freundlich, nur tauscht keine der fünf Banken, an die sie mich sukzessive weiterverweisen, Euro-Banknoten. Schließlich finde ich von alleine eine, die´s macht. Die Dame am Schalter kopiert meinen Reisepass, eine mir ebenso bereits bekannte Maßnahme. Als sie aber meine Telefonnummer für ihr Computer-Formular wissen möchte, wundere ich mich doch etwas.

Ich nehme mir erstmal die Neustadt vor, der ein weniger spektakul
ärer Ruf vorauseilt als der Altstadt. Aufgrund von Zeitumstellung und Höhe laufe ich noch etwas hinter mir selbst her. Im Zentrum der Neustadt reißt man im Rahmen eines ambitionierten Experiments großflächig das Straßenpflaster auf. Schön sieht das nicht aus. Dabei gibt es neben unsäglicher Stahl- und Rostarchitektur einige wirklich hübsche Kolonialfassaden.

Mittags ereilt mich eine Schlafattacke mit komat
ösem Schlummer in der Folge. Abends bestelle ich zum Essen "Te verde", was wörtlich "grüner Tee" bedeuten sollte. Die Bedienung kuckt mich an, als hätte ich grünes Fleisch geordert. Um nicht weiter völlig unbedarft zu erscheinen, verlange ich entschlossen die Teesorte "Manzanilla", schließlich hört sich das gut an. So endet der Tag mit Kamillentee.



Wolken über Quito.





Freitag, 5. September 2008

Quito II

Das Zentrum der Altstadt Quitos muss sich erst nach 2000 so entwickelt haben, wie es sich heute präsentiert: sauber und aufgeräumt mit Prachtbauten aus Kolonialzeit und Klassizismus. Das Ganze in frischen Pastelltönen der Farben orange, mintgrün, türkis, rosa und ocker. Für Bauchhändler und Gesinde ist dagegen kein Platz mehr. Ein Überangebot an opulenten Kirchen, Boulevards, Gassen und Hinterhöfen lässt die Athmosphäre erahnen, wenn es mal nicht, wie gerade, regnet.

Ich beschließe, die erste Telefonnummer anzurufen, die ich von lokalen Couchsurfern habe. Isabel bestellt mich in das überschicke Einkaufszentrum "Centro Commercial Del Bosque" in der Neustadt und holt mich mit einem bronzebraunen Straßenkreuzer der Marke Benz ab. Sie, 28, Fotografin, wohnt mit Eltern und zwei Brüdern in einer Wohnung, deren edelschickes Wohnzimmer mit diversen Kronleuchtern und goldverzierten, weißen Holzmöbeln einem Luxushotel gut anstehen würde. Um ins Haus zu kommen, muss man einen Wachmann passieren. Aus unerklärlichen Gründen glaubt Isabel, ich wolle bei ihr unterkommen, dabei hatte sie mir, was das betrifft, abgesagt. Sie müsse nun auch gleich arbeiten. Immerhin bekomme ich von ihr noch den Tipp, den Bus die Hänge hoch zu nehmen und mit der Seilbahn auf einen der Stadtberge zu fahren.

Je weiter der Bus den Hang hochkurvt, umso mehr lösen provisorische Ziegelsteinbauten schicke, bunte Wohnblocks ab. Ein Assistent sammelt von den Passagieren Vierteldollarmünzen ein. An der Endstation muten Staub, fehlende Dächer, streunende Hunde und hundehüttenartige Behausungen nach Slum an. Dafür stehen Hühnchenbratereien und Internetcafes Tür an Tür. Von einer Seilbahn ist dagegen nichts zu sehen. In der Gasse daneben fährt ein anderer Bus bis zur Siedlungsgrenze hoch. Auch hier gibt es definitiv keine Seilbahn. Die Aussicht ist dennoch
hübsch: ein Siedlungsmosaik, das sich ungleichmäßig dicht, in architektonischem Stilmix, über Senken und Hügel ausbreitet.

Der Bus bringt mich etliche Kilometer weiter nördlich nach unten. Die Sonne scheint inzwischen, und süßliche ecuadorianische Musik dringt aus dem Lautsprecher. Unten liefen u.a. "Life Is Life" (Opus, 2x), "Brother Louie" (Modern Talking), sowie Boney M. -- von Boney M. selbst oder Cover-Interpreten. Der Weg durch die Behausungen fühlt sich malerisch an.
Überhaupt gefällt mir Quito in seiner quirligen Vielfalt immer besser.Die Fahrt endet für mich auf einer Straße, wo im nordamerikanischen Stil ein gelecktes Fast-Food-Lokal auf das nächste folgt. Mit dem "Trole" (Trolley)-Bus, einer Art Schnelllinie, bin ich in dreißig Minuten längs durch Quito wieder in der Altstadt.

Ich laufe durch eine Mischung aus Parkhaus und Einkaufzentrum, in dem Händler in ihren Buden fast ausschließlich Handys verkaufen. Da man in Ecuador an jeder Straßenecke Telefonkabinen findet, beschließe ich, meinen technischen Engpass durch zwei dekadente Kodak-Einmalkameras auszugleichen. Die "Placa de la Indepencia" (auch "Placa Grande") mit ihren Regierungs- und Kirchenpalästen erstrahlt bei Sonne in opulentem Weiß und dem Lila der Blüten großer Sträucher. Allmählich ahne ich, warum Quito "Stadt des ewigen Frühlings" genannt wird. Dafür fehlt es an gastronomischer Kultur: Die Cafes sind meist Löcher in Steinmauern mit Campingtischen neben einer Tiefkühlbox. Wo über Rio de Janeiro ein Jesus thront, wacht über Quito seine Mutter bzw. die heilige Jungfrau, die hier irgendwie Ecuadors Unabhängigkeit symbolisieren soll. Am Rand der Altstadt schaukeln uralte Boote mit fröhlichen Menschen an Bord in einer mit Wasser gefüllten Betonrinne von den Hügeln herunter. Eines sähe aus wie komplett aus Styropor, hätte es nicht außen zwei Eisenkurbeln zum Treten.

Abends lasse ich mir für zwei Dollar die Haare schneiden. Dazu reichen zwei Wörter Spanisch bzw. deren Kombination: "cortos" (kurz) und "no" (nicht). Interessanterweise wäscht mir die Friseuse die Haare, nachdem sie sie geschnitten hat. Dabei hätte das Waschen nur das Schneiden verbessern sollen. Nachts sind die Straßen in ein warmes hellgelbes Licht getaucht, vereinzelte Bordsteinschwalben blinzeln daraus den Passanten zu. Für mich endet der Tag mit einheimischem Club-Bier.


Kolonialstil in der Fußgängerzone.