Montag, 25. August 2008

Guayaquil

Zum Frühstück gibt´s von Marus Mutter selbstgemachten Maiskuchen. Maru bringt mich mit dem Bus in die Innenstadt, wo sie arbeitet. Man hält sich hier an Plastikgriffen fest, unter die beidseitig Werbeschilder eingeschweißt sind.

Die Innenstadt Guayaquils scheint der einzige Stadtteil zu sein, den man gefahrlos alleine belaufen kann. Mir fällt nichts besseres ein, als der Route zu folgen, die der Reiseführer "Reise Know-How" vorschlägt. Vorher nehme ich angesichts des desolaten Aussehens meiner Beschuhung zum ersten Mal in meinem Leben die dekadente Dienstleistung des Schuhputzens ($1) in Anspruch. Allerdings achte ich darauf, dass es ein Erwachsener macht. Dann geht´s los: eine Kathedrale mit Heiligen, die um das Haupt herum leuchten. Es folgt ein Marktviertel, in dem u.a. Elektrik, Blumen, wahrscheinlich schlecht kopierte Videofilme und Wellensichte in Nanokäfigen angepriesen werden. Der "Mercado Artesenal" am Flussufer bietet all die Dinge, die ich schon früher erwartet hatte: Inkamützen, -schals, -handschuhe, -schmuck, -taschen, dazu Panflöten mit bunten Verzierungen, die so garantiert nie existiert haben.

Eine Pause am Guayafluss ist lauschig, aber es liegt viel Dunst über Wasser und Stadt. Und allerlei Strandgut treibt vorbei: Zitronensaft, Badeschlappen, entwurzelte Pflanzen. Hinter dem Restaurant zum Goldenen M (McDonald´s) ankert ein Piratenschiff, das in dieser Ausflugsausstattung auf Beuteturns garantiert keinen Cent einfahren würde. Auf einen hübschen Uhrturm mit arabischen Ornamenten folgen prächtige Kolonialbauten, ein schicker Yachtclub, ein Kunstwerk, das japanisch anmutende Holzformen mit Segeltuch verbindet, moderne 100m-Hochhäuser und ein Museumseisenbahnwagen vor einer witzigen Mischung aus Turm und Kinderrutsche. Dahinter liegt der romantische Ausgehhügel Santa Ana mit seinen bunten Hütten und Gassen. Abseits vom Fluss entdecke ich eine rechteckige Häuserfront mit den Kopien der Gemälde einheimischer Maler. Darunter eine Frau mit einem Blumengesteckturm auf dem Kopf, ein Baum mit Monthy-Python-Ästhetik, dessen Blätter Schmetterlinge sind und ein Indianer, dem bunte Federn Nase und Ohren durchbohren. Wie in Boston/New York schmiegen sich alte Kirchen an zehnmal so hohe Bürogebäude.

Ein herzzerreißendes Mädchen, es mag sechs sein, versucht minutenlang, mir vermutlich ziemlich klebriges Konfekt zu verkaufen. Es folgt mir sogar. Ich streichle seinen Kopf und rate ihm sinnloserweise, doch besser zur Schule zu gehen. Beim Versuch, die Begebenheit zu notieren, implodiert mein Kugelschreiber. Zwei Wochen tadelloser Dienst, doch nun muss ich ihn austauschen. Nach dem Mittagessen mache ich in der edlen Konditoreikette "Sweets and Coffee" das Experiment, die mir augenscheinlich unbekannteste Speise zu testen: "humitas", ein in Maisblätter gehüllter Brei; er schmeckt nach Gries, Aubergine und ... Mais.

Für 25 Cents umfahre ich mit dem Metrobus nochmals die komplette Innenstadt. Ich sehe ein weiteres Beispiel des Konzepts "Flughafen in Millionenstadt", ein grün-gelbes Fussballfeld, ein Monument, bei dem der Anführer auf den Schulter seiner Gefährten martialisch den Säbel nach vorne streckt und ein Möbelgeschäft, das seine Massivholzsitzgruppen in einem Gerippe aus rußgeschwärzten Ziegeln untergebracht hat.

Abends hat eine der anderen Couchsurferinnen, mit denen ich vorher E-Mail-Verkehr hatte, Kahyda, netterweise eigens für mich ein Treffen organisiert. Nach Kreuzfahrten durch die Stadt zwecks Umziehen, Abendessen und Leute einsammeln geht´s nahe des Flughafens im Norden los, im Freiluftlokal "Akropolis". Es läuft die Tangovorführung eines Herrn mit Riesenschnauzer, zurückgeschmierten Haaren und dunklem Nadelstreifenanzug. Abwechselnd fabuliert er zehn Minuten lang über Herkunft und Sinn des Tanzes und schiebt seine Partnerin für eine Minute, die Hand in der Hosentasche, wie einen Garderobenständer über's Podest. Mein Witz, das sei wohl griechischer Tango wird allerseits mit dem Hinweis pariert, es handle sich um argentinischen Tango. Die zweite Bar, das "El Galeon de Artur´s" liegt auf dem Santa Ana-Hügel. Weiße Säulen, buntes Teakholz, Steuerräder, Lichtschläuche und Seebärfiguren (vollbärtige Freddy Quinns) prägen das Interieur. Zuletzt geht´s irgendwo anders kilometer weit weg ins "Ojos De Perros Azul" ("Augen auf vor dem kleinem Hund"). Ein Meerkatzengemälde deckt eine ganze Wand ab. Wir trinken Bier mit Eiswürfeln.

Anfang des Abends hatte ich Kahyda erzählt, in Bayern mache man aus "Michael" meist "Michi". Aber so nennten mich nur noch meine Eltern. Selber schuld: Danach hat sie den ganzen Abend "Michi" zu mir gesagt. Ich habe sie dafür "Mama" genannt. Dabei sieht sie aus wie eine Tangofantasie.



Zeitgenössische Kunst.


Herzzerreißend.