Donnerstag, 28. August 2008

Riobamba II

Am Sonntag löst sich das Couchsurfing-Treffen langsam auf. Christiano (Ecuador) und Melanie (Frankreich) nehmen die übrigen, Miguel (USA), Boris (Frankreich) und mich (Deutschland), mit dem Auto mit auf Ecuadors höchsten Berg, den Vulkan im Ruhestand Chimborazo (6310m). Vorher frühstücken wir in einem Cafe, in das ich mich am Freitag schon verlaufen hatte. Ich esse Karamellkuchen und Huhn im Blätterteig.

In Unkenntnis des Weges kreuzen wir durch die Gegend, passieren einen Ort, in dem sich Menschen in bunten Traditionsumhängen und Obststände konzentrieren. Wir überholen einen Jungen mit Fahrrad. Auf seinen Schultern wieder ein Junge, der seinerseits drei nagelneue Besen schultert. Es geht vorbei an kleinen Schweinefarmen, Staubfabriken und Wäschleinen. Ab 4000m Höhe mündet die Vegetation in eine Mondlandschaft. Es schneit, und wir hören abgezockten Dub aus Christianos Ipod, den er an seine Autolautsprecher angeschlossen hat, weil ihm bei festinstallierter Musikanlage ständig das Auto aufgebrochen würde. Einmal sei einer mit Schnellfeuerpistole dabei Schmiere gestanden. Gerade in Quito, wo er mit Melanie lebt, häufen sich die Berichte von Überfällen.

Am Refugio I (4800m) steigen wir aus und laufen durch Nebel roten, feuchten Sand hinauf. Gedenksteine für Bergsteiger säumen den Weg. Darunter eine Tafel, die an Christianos Stiefvater erinnert. Vor fünfzehn Jahren wurde er Opfer einer Lawine. 2007 ist einem 87jährigen die Höhe nicht bekommen. Die Aluplatten längs des Weges stammen vom Dach des Refugios II, der Wind hat sie hierher heruntergetragen.

Wir sind da, 5000m über dem Meeresspiegel, mein Höhenrekord nochmals verbessert. Im Refugio II gibt´s Stockbetten, einen großen Holzofen, Champignonsuppe und Kokatee (zusammen für $2). Eine Schautafel würdigt den südamerikanischen Befreungshelden Simon Bolivar. An den Fenstern Aufkleber von Institutionen, die hier waren: "Förderer der Bergrettungsdienste Kärnten", die Zeitschrift "Der Heimatsucher", "Wild Ost Abenteuerreisen". Der Wirt repariert das Schloss der Stube mit einem großen Küchenmesser. Unser Hüttenaufenthalts wird beschallt mit "Sweet Child of Mine" (Guns ´n´ Roses) und "You give Love A Bad Name" (Bon Jovi). Schlechter Geschmack kennt keine Grenze nach oben. In Anlehnung an den Film von gestern abend wird der Satz "Quien es tu papi?" zum geflügelten Wort. Er lässt sich irgendwie immer anwenden, beispielsweise, wenn man beim Suppeessen kleckert. Sogar Christiano kann darüber lachen. Allein den Chimborazo haben wir nicht gesehen, den Gipfel kenne ich wieder nur aus dem
Internet.

Zurück in Riobamba verabschiede ich mich von den anderen und besteige ausgehungert einen Bus, der mich immerhin noch in den kleinen Ort Alausi bringt. Ich esse, was die Händler im Bus zu bieten haben: Aprikoseneis aus einer schmalen Tüte und eine appetitliche Mischung aus Vollkorn- und Honigbrot. Während der Fahrt läuft permanent ein Lied, das ich schon mindestens fünfzigmal gehört habe, und in dem es häuptsächlich um "Corazon" (Herz) geht. Wobei "Corazon" in jedem ecuadorianischen Lied vorkommt. Und wenn nicht "Corazon", dann wenigstens "Sentimentos".

Im Restaurant "El Cisne" ("Der Schwan") in Alausi wird mir ein Menu hingestellt, ohne dass vorher eine Kommunikation stattgefunden hätte: Suppe mit Kartoffeln, Käse und grünen Blättern, Hühnchenschenkel mit Reis. Dazu bestelle ich Saft und bekomme eine Art warmen Hustensaft mit Geschmacksrichtung Himbeer. Das Ganze für $2.25. Auf meinen $5-Schein kann der Kellner nicht herausgeben, das tägliche Drama, das jedoch sonst erst ab $10-Noten eintritt. Der Kellner nimmt meine Münzen im Wert von knapp $2 entgegen, meint "unimportant", und ich bedanke mich. Zur Nacht spielt eine einheimische Blaskapelle im fahlen Laternenlicht der Hauptstraße.


Gedenkstein am Chimbarazo.