Sonntag, 31. August 2008

Dschungelcamp

Am Mittwoch, vorgestern, fuhr ich dann ins Dschungelcamp.

Für die Tour "Jungle Extreme" gibt's Gummistiefel, Regencape und später noch einiges mehr. "Soy Gringo Aleman", stelle ich mich Paolo, dem Guide für heute, vor. Er erklärt mir, dass der Ausdruck "Gringo" aus dem Vietnamkrieg stammt, wo der Angriffbefehl der US-Amerikaner gelautet habe: "Green go!". Irgendwo hatte ich das schon mal gehört. Ohne Paulo, aber mit Paula und drei anderen entspannten Spaniern, Sebastian, Raul und Laeticia, den sanften Schweizern Lea und Daniel, sowie vier Guides geht's los. Die Fahrt bergabwärts nach Puyo wird aufgelockert mit Kokolores wie Bungee-Jumping (bekomme von solcherlei nur Albträume) und der Überquerung einer Schlucht mittels elektrisch angetriebenem Rostkäfig. Hinter Stolperschwellen und einer Holzbrücke, bei der schon ein paar Leisten fehlen, beginnt das Rafting im Rio Negro. Entgegen meiner sonstigen Angewohnheit bei solchen Gelegenheiten gehöre ich nicht zu denen, die die Stromschwellen von unten testen.

Nach dem Mittagessen erreichen wir das Dschungelcamp im Reservat "El Parvenis" etwa 30km südöstlich, vermute ich, von Puyo. Pfahlhäuser mit Strohdächern, kleine Affen und kopulierende Plüschhunde begrüßen uns. Und um alldem ein botantischer Garten, der keine Grenzen zu haben scheint, wie sich auf dem anschließenden Spaziergang herausstellt. Wenn mich jemand fragt, wie's im Dschungel aussieht: Es ist ziemlich grün. Wir überqueren eine wichtige Termiten-Handelsstraße. Nach dem Bad unter einem 30m-hohen Wasserfall wird es langsam dunkel. Unser Guide Romulu (keiner der vier aus dem Auto) flechtet für die Mädels Haarkränze aus Farngräsern und malt ihnen mit dem Rot einer Stachelfrucht ein indianisches Muster auf die Wange. Er erklärt uns das aus roten Stengeln gewonnene Halluzinogen Ayaguasca. Bald fliegen uns neongrüne Glühwürmchen um die Ohren.

Beim Abendessen sitzt schon eine Gruppe junger überdrehter Amerikanierinnen am Nachbartisch. In jedem ihrer Sätze kommt mindestens ein "Oh, my gosh", "You guys" oder "Hey, dude" vor. Später verkürzen sie uns die Nacht, in dem sie den Dschungel mit Chartmusik beschallen. Dabei machen all die Grillen, Vögel und sonstigen Tiere hier schöne Musik. Bei der Gelegenheit kann ich meinen mäßig originellen Satz "Mallorca es una provinvia allemana" anbringen; die Spanier stimmen zu.

Im Dschungelcamp gibt es keine Promis, dafür Stockbetten, Klos und sogar eine Dusche. Auch die Moskitos halten sich zurück. So richtig extrem ist das noch nicht.

Die Spanier übersetzen netterweise meine Beschreibung des jährlichen Karl-May-Fests in Radebeul bei Dresden für den Indianer Romulu: Tausende deutsche Native Americans, die beispielsweise eine Nacht lang am Fluss trommelten. Ich erzähle von Winnetou, Old Shatterhand und Gebräuchen wie Blutsbruderschaft. Zum Abendessen gibt's Spaghetti. Hasta la pasta.


Beim Frühstück isst ein kleiner Papagei mit. Er kann nicht fliegen, da ihm die Hunde die Flugfedern abgenagt haben. Heute laufen wir in Gummistiefeln los. Jogger kommen uns entgegen. Es handelt sich um Frau, Tocher und Kusine von Romulu, sie wollen uns begleiten. Von den folgenden drei Stunden Marsch durch Urwald und Schlamm ist zu berichten: Handgroße Schmetterlinge; eine Blüte, die, wenn in den Mund genommen, einem kleinen Mädchen Schmolllippen verleiht; eine Spinne, die sich von allen Seiten eingesponnen hat; ein Pilz, der aussieht wie ein Silikonimplantat. Romulus erklärt uns, wie man aus Schilf Rucksäcke und schicke Handtaschen bastelt (letztere werden am folgenden Tag mit dem nächsten Guide tatsächlich hergestellt). Dann geht's je nach Körpergröße knie- oder bauchtief im Wasser einen Bach hoch -- diesmal zu einem Wasserfall, bei dem ein Baum mit vorspringendem Ast als Sprungturm dient. Auf dem Rückweg testen wir eine Tarzahnbahn in Form einer Liane mit Schlinge dran. Wir beobachten Insekten, die sich gegenseitig im Lehm vergraben und faustgroße Grashüpfer. Zu Mittag gibt es eine nach Spargel schmeckende Suppe, in die Croutons in Gestalt von Popkorn getaucht werden. Diesmal möchte ein Äffchen mitessen.

Nachmittags nehme ich die medizinische Hilfe unseres neuen Guides Angel (m, spanisch ausgesprochen) in Anspruch, denn meine Blase am Fußballen ist im Schlamm größer und schmutziger geworden. Er verwendet schulmedizinisches Desinfektionsmittel; ich hatte gestern Aftershave genommen. Außerdem befindet sich Kräutertee in seiner Medizintasche. Ich erkläre dem Nachkommen der Ureinwohner von hier das deutsche Sprichwort: "Ein Indianer kennt keinen Schmerz."

Über eine Rostplattenbrücke betreten wir das Indianerdorf Cotocotcha. Eine 60qm-Hütte dient gleichzeitig als Kindergarten, Schule und Souvenirgeschäft. Stillende Mütter führen vor, wie man aus Lehm eine Schüssel herstellt, sie färbt und verziert. Außerdem kann man Halsschmuck, Holzmesser, Buschhörner kaufen und sich temporäre Henna-Tattoos machen lassen. Wir lernen, wie Bananenernte funktioniert, und wie man aus bestimmten Ästen Schamamensaft gewinnt. Aus den Blättern der Pita-Pflanze basteln wir Kordeln, die noch eine Rolle spielen sollen.

Abends tauschen wir spanisches und deutsches Liedgut aus. Entgegen meiner bisherigen Annahme ist "Eviva Espagna" kein rein deutscher Schlager. Auf die Nachtwanderung verzichte ich wegen Fußkrankheit.


Am morgen des letzten Dschungeltags entdecken wir am Rio Puyo, an dem das Camp liegt, eine weiße Bergspitze, die sich majestätisch aus der grünen Botanik erhebt. Es ist der Vulkan Sangay (5230m), sagenhafte 4400m höher gelegen als das Camp. Beim Frühstück erzählen die Spanier von einer Busfahrt zur Küste herunter, bei der während jedem Bremsmanöver ein Marienbild aufgeleuchtet habe.

In Originalindianerkanus gleiten wie den hübschen Rio Puyo Richtung Sangay herunter. Angel besteht darauf, dass der Berg noch um 400m höher sei. Nach einer ausgiebigen Schwimmeinheit wartet das Kanu hinter Stromschnellen auf uns. Ich kann mich an großen Steinen festhalten. Wir stiefeln bergaufwärts, wo die Straße liegen muss. Bei einem Weiher schlage ich vor, dass hier Krokodile leben könnten. Tatsächlich taucht ein 2m-Alligator auf. Sein 3m-Kollege lässt sich leider nicht blicken. Hier im sekundären (also jüngeren) Urwald gibt es ansonsten kein Großwild. Während des weiteren Aufstiegs schnitzt Angel Muster in die kleine Nuss einer Palme und macht ein Loch hinein, das für die Kordel von gestern vorgesehen ist und insgesamt eine Halskette ergibt.

Der letzte Aufstieg auf den Aussichtshügel, von dem aus man die gesamte Tour-Landschaft sieht, tut meinen inzwischen mannigfaltigen Blasen nicht gut. Nach dem Test eines Grippemittels -- seine Wirkung erinnert an starken Schnupftabak -- werde ich zum Objekt einer naturmedizinischen Demonstration: Angel ritzt einen weißen Drachenbaum auf und streicht das rote Harz auf die Stellen, wo eigentlich Haut sein sollte. Es zieht mir die Wunden zusammen, doch es brennt weniger als Alkohol. Psychologen nennen das allgemeine Mitleid, das mir zuteil wird, "sekundären Krankheitsgewinn". Den finalen Abstieg zum Auto mache ich mit Schuhen aus Blättern, die mit Zweigen um die Füße gebunden werden. Im Auto läuft rustikaler Heavy Metal. Wenn das kein Abenteuer ist.


Rio Puyo mit Vulkan Sangay im Hintergrund.


Die Spanier beim rudern.


Papagei (rechts), ich (links).